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Ist die Friedensbewegung gescheitert?

Am Buß- und Bettag fand die Friedensdekade ihren Abschluss.

Seit Anfang der 80er Jahre gibt es die Idee einer Friedensdekade, die damals zeitgleich in der DDR und der BRD entstand. Auf der Homepage der Friedensdekade gibt es dazu lesens- und sehenswerte Informationen: www.friedensdekade.de/ueber-uns/geschichte/

Ist die Friedensbewegung gescheitert?

Diese Frage stellte Prof. Dr. Stephan von Twardowski Ende Oktober bei einer Online-Veranstaltung der Reihe „Theologie trifft …“. Sie hat die Teilnehmenden getroffen, weil bei vielen die Friedensbewegung wesentlicher und prägender Teil ihrer eigenen Biographie ist. Haben wir uns mit dem Frame von der „Zeitenwende“ von unseren eigenen friedensethischen Prinzipien verabschiedet? Halten Sie angesichts des Krieges in der Ukraine nicht mehr stand? Schließt sich der pazifistischen Bewegung eine bellizistische an? Eine, die behauptet, dass Frieden schaffen nur mit Waffen möglich ist?

Die anschließende Diskussion an diesem Abend machte deutlich: wir brauchen unbedingt Plattformen, an denen über diese Fragen offen diskutiert wird, ohne gleich in rechte oder linke Ecken geschoben zu werden. Pluralität zu leben und gesprächsfähig bleiben, tut uns bei diesen Überlegungen nicht nur gut, sondern ist wesentliche Voraussetzung für ein friedliches Miteinander in unserer Gesellschaft. Von daher bietet es sich an, miteinander die offene Diskussion neu einzuüben und zu fragen: Wie denkts Du darüber? Welche Alternativen zu den derzeitigen politischen Positionen gibt es? Welche Aspekte wurden übersehen? Wie kann wieder Frieden werden?

Der nahe Krieg in der Ukraine sollte uns nicht übersehen lassen, dass es schon lange andere Kriege gibt, die uns im Grunde dieselben Fragen stellten – nur, dass sie weiter weg waren und uns darum nicht so bedrohlich vorkamen.

Fünf bedenkenswerte Themenkreise

Prof. Dr. Stephan von Twardowski wies in seinem Vortrag auf fünf Punkte hin, die wir als Christen in eine gesellschaftliche Diskussion einbringen können. Mit einem herzlichen Dank an ihn, darf ich sie hier veröffentlichen (die fünf Punkte hatten ursprünglich keine Überschriften. Sie wurden zur schnellen Übersicht von Wilfried Röcker nachträglich dem Inhalt entnommen und eingefügt):

1. „Wie wird Friede?“
Diese Frage Dietrich Bonhoeffers aus seiner berühmt gewordenen ökumenischen Rede im Jahr 1934 ist als kontinuierliche Leitfrage einer friedensethischen Orientierung aus christlicher Perspektive zu betrachten. Aufgabe christlicher Friedensethik kann nur die Ausrichtung auf die dynamische Gestaltung eines auf Wahrheit und Recht gründenden Friedens (pacem facere) sein, die ein konsequentes sich stets in die komplexe Verantwortungssituation hineingebendes Nachdenken und Handeln begründet. Dabei ist Frieden weder bloße Strategie noch utopisches Ideal. Vielmehr bezieht sich christliche Friedensethik auf den verheißenen und in Christus bereits realen Schalom Gottes. Die vorrangige Option der Gewaltfreiheit, die damit verbundene Wiederherstellung auf Gerechtigkeit ruhender Beziehungen und der Schutz allen Lebens prägen die Ausrichtung auf den Frieden Gottes.

2. Was kann eine weltweite Ökumene beitragen?

Gegenüber polarisierenden, moralisch aufgeladenen und inzwischen sehr eingeengten Debatten, in denen scheinbar klare Gut-Böse-Schemata in den Vordergrund drängen und eine stetige Militarisierung zu beobachten ist, erfordert die Ausrichtung auf den umfassenden Schalom Gottes eine stetige und selbstkritische Analyse der Komplexität der gegenwärtigen Weltlage und weiten Raum für ein vielschichtiges, kreatives Ringen um Deeskalation einer sich bereits weit vor dem 24. Februar 2022 eskalierenden Konfliktlage. Ohne das völkerrechtswidrige Kriegshandeln Russlands in irgendeiner Weise zu rechtfertigen, sind vielschichtige, grenzüberschreitende Wege aus der Eskalationsspirale zu erforschen, in die Debatte einzubringen und zu erproben. Kirchen können durch ihre vielfältigen ökumenischen Beziehungen Wege ziviler Konfliktbearbeitung beschreiten („multi-track diplomacy“), die politischen Verantwortungsträgern in der jetzigen Konfliktlage möglicherweise verwehrt bleiben.

Am 17. Oktober 2022 war eine Delegation des Ökumenischen Rats der Kirchen unter der Leitung seines geschäftsführenden Generalsekretärs Priester Ioan Sauca aus der Rumänisch-Orthodoxen Kirche in Moskau beim Moskauer Patriarch Kyrill I. von der Russisch-Orthodoxen Kirche. Einige sahen in diesem Besuch die Gefahr der der Manipulation des Ökumenischen Rats der Kirchen durch die Russisch-orthodoxe Kirche. Demgegenüber bleibt festzuhalten, dass jede Rechtfertigung der brutalen und auch häretischen Aussagen des Patriarchen Kyrill I. zum Ukraine-Krieg als vor Gott gerechtfertigten Krieg entschieden zu entgegnen ist und die Bekenntnisfrage ökumenischer Gemeinschaft hervorruft.

3. Wo ist der Ort friedensethischer Orientierung christlicher Prägung?
Er findet sich in der transzendierenden Gestalt der Kirche Jesu Christi mitten in der Weltwirklichkeit, die ihre Existenzform etwa in ökumenischer Gemeinschaft und gemeinsamen ökumenischen Handeln sucht. „Im Krieg ist die Wahrheit das erste Opfer“, meinte bereits Aischylos (525-456 v. Chr.). Die ökumenische Gemeinschaft will auch unter den aktuellen schwierigen Herausforderungen neu entdeckt werden – als Raum des beständigen, kontroversen, grenzüberschreitenden und selbstkritischen Ringens um den in Wahrheit und Gerechtigkeit gründenden Frieden – in Ausrichtung auf den umfassenden Schalom Gottes. Sie hat die Aufgabe, über die Kirche hinaus eine Rhetorik zu erkennen und zu entlarven, die stets weiter an der Gewaltspirale dreht.

4. Wie das Gefühl der Ohnmacht überwinden?
Die Aufnahme und Begleitung von Geflüchteten, von Schutzsuchenden und auch von Kriegsdienstverweigerern – unabhängig von ihrer Herkunft – kann als zentraler Bestandteil ökumenischen Friedenshandelns betrachtet werden. Es ist ein Friedenshandeln, das danach strebt Grenzen zu überschreiten und einfache Freund-Feind-Schemata zu durchbrechen sucht.

5. Es bleibt eine spannungsvolle Suche nach verantwortlichem Verhalten.

Dietrich Bonhoeffer schrieb zur Jahreswende 1942/1943: »Wer hält stand? Allein der, dem nicht seine Vernunft, sein Prinzip, sein Gewissen, seine Freiheit, seine Tugend der letzte Maßstab ist, sondern der dies alles zu opfern bereit ist, wenn er im Glauben und in alleiniger Bindung an Gott zu gehorsamer und verantwortlicher Tat gerufen ist […].«

Bonhoeffers Ausrichtung auf die dynamische Gestaltung des Friedens und seine theologisch begründete fundamentale Kritik an Krieg und Gewalt in ihren vielschichtigen Formen lässt eine hohe Sensibilität für die komplizierten Dilemmata-Situationen und die komplexe Wirklichkeit erkennen, denen sich eine verantwortliche friedensethische Orientierung nicht entziehen kann.

Der aktuell vielseitig diskutierte Einsatz »rechterhaltender Gewalt« etwa durch Sanktionen oder durch militärische Intervention zum Schutz menschlichen Lebens kann nie eine grundsätzliche theologische Legitimation erfahren, sondern lediglich verantwortungsethisch begründete schuldbehaftete Billigung als außergewöhnliches Handeln in einer Situation des Dilemmas. Diese Spannung ist bei der Suche nach verantwortlichem Handeln aufrechtzuerhalten und stets neu in den Blick zu nehmen.

Die Diskussion darüber kommt angesichts der derzeitigen Situation viel zu kurz.

Ihre Erfahrungen interessieren uns.

Gerne können Sie uns berichten, welche Erfahrungen Sie bei Veranstaltungen zu diesem Thema gesammelt haben. Interessante Hauskreismaterialien zum Friedenspapier der EmK, das die Zentralkonferenz im Jahr 2017 verabschiedet hatte finden sich auf der Homepage: www.emk-hauskreise.de/index.php?id=hk-thema-frieden-gestalten

Auch die Ausgabe 23/2022 des Magazins „unterwegs“ der Evangelisch-methodistischen Kirche beschäftigt sich mit dem Thema „Wie wird Friede?“ – sehr empfehlenswert und sicher ein gutes Material für Gespräche in Hauskreisen und Kleingruppen.